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FUSSBALLERISCHES BRACHLAND

In Deutschland gibt es nach offiziellen Zählungen 79 Großstädte. 79 Städte mit über 100.000 Einwohnern von Aachen bis Dresden und von Kiel bis Freiburg. In je einer ersten, zweiten und dritten Liga, fünf Regionalligen sowie zahlreichen Oberligen sollte im (semi-)professionellen Fußball genug Platz für Clubs aus diesen Städten sein. Trotzdem schaffen es die Vereine aus einigen Großstädten nicht, einen Oberligisten oder besser zu stellen. In einer kleinen, hoffentlich regelmäßig erscheinenden Serie, werde ich probieren diese Städte fußballerisch und auch neben dem Platz zu potraitieren. Städte die oftmals größer sind als Sinsheim, Wolfsburg oder Ingolstadt.

Kapitel 1 SZ - Kapitel 2 MO - Kapitel 3 RS - Kapitel 4 RE - Kapitel 5 BOT - Kapitel 6 HN (bis HN Stand '17)
Kapitel 7 NE - Kapitel 8 HD (NE & HD '18) - Kapitel 9 SG - Kapitel 10 MH (SG & MH '20)

Mülheim an der Ruhr

Einwohner
170.936
Bundesland
Nordrhein-Westfalen
Nächster Proficlub
MSV Duisburg (12 km)
3. Liga
Bester Verein
VfB Speldorf
Landesliga Gruppe 1 (6. Liga)
Größtes Stadion
Ruhrstadion
6.000 Plätze
Sohn der Stadt
Willi Landgraf *1968
(Alemannia Aachen)

Vor wenigen Tagen stolperte ich durch Zufall über das sportliche Schicksal Solingens und erinnerte mich an meine Brachland-Serie. YouTubes Algorithmus machte mich erfolgreich auf eine Doku über den Untergang des Feldhandballs aufmerksam. Der Beitrag führte den Zuschauer ins Solingen der 60er Jahre. Mit dem BSV Solingen stellte die bergische Großstadt 1965 den Deutschen Meister in der damals vielbeachteten und populären Sportart. Für die Überleitung vom fast komplett ausgestorbenen Feldhandball zum Fußball nutze ich das Walder Stadion.  Das 8.000 Zuschauer fassende Stadion erlebte neben den Heimspielen der „Oheios“ genannten Handballer sportliche Highlights im American Football, im Rugby, in der Leichtathletik und eben im Fußball. So gastierte vor dem 2. Weltkrieg der Glubb in Solingen und spielte in einem freundschaftlichen Duell gegen eine Stadtauswahl. Fußball wird in dem mittlerweile 90-jährigen, größten Stadion der Stadt nicht mehr gespielt.

 

Solingen war jedoch nicht immer fußballerisches Brachland. Die stolze Stadt zwischen Wuppertal, Köln und Düsseldorf hatte mit dem 1. FC Union einen langjährigen Zweitligisten (1975-1989), der seine Heimspiele im Stadion am Hermann-Löns-Weg austrug. Nach dem Abstieg aus der zweiten Bundesliga meldete der Verein Insolvenz an und wurde aufgelöst. So richtig kamen die Blau-Gelben nicht mehr auf die Beine, kickten von nun an unterklassig und auch der Nachfolgeverein meldete 2007 Insolvenz an. Der Status Quo ist ein Nachfolgestreit zweier Clubs, deren Ambitionen weit entfernt von Glanz und Gloria anzusiedeln sind. Die Geschichte der einst 18.000 Zuschauer fassenden Heimat der Unioner ist nicht weniger tragisch. Das Stadion im Stadtteil Ohligs wurde 2018 komplett abgerissen und wich einem Wohngebiet, das in einigen Monaten fertiggestellt werden soll. Der derzeit erfolgreichste Solinger Klub, der VfB 1910, wird im Sommer aller Voraussicht nach aus der sechstklassigen Landesliga absteigen.

Es ist an der Zeit, den bisher recht traurigen, von Auflösungen und Niedergängen geprägten Artikel und die Stadt Solingen in ein besseres Licht zu rücken. Bleiben wir sportlich und kommen zurück zum Handball. Heutzutage ist es der Hallenhandball, in dem Solingen durchaus Beachtung findet. Gemeinsam mit der Stadt Wuppertal stellt man den etablierten Bundesligisten Bergischer HC. Ebenfalls erstklassig und sogar meisterlich ist man im Baseball. Die Alligators wurden 1991 gegründet und konnten 2006 und 2014 zwei nationale Titel in die Stadt holen. Ein kleiner thematischer Schnitt führt uns Weg vom Sport und hin zum wichtigsten Gut der Stadt. Solingen ist weltbekannt für seine Schneidwarenindustrie. Messer mit dem Label Solingen sind gut, begehrt und seit 1938 gesetzlich geschützt. Die Stadt führt den Zusatz Klingenstadt im Namen und verweist so auf seinen wichtigsten Industriezweig als Heimat bekannter Firmen wie Zwilling oder Wüsthof. Den Abschluss macht jedoch ein fußballerischer Exportschlager aus Solingen.

Christoph Kramer kam 1991 in Solingen zur Welt und wurde 23 Jahre später in Rio Fußball-Weltmeister. Kramer begann beim Stadtteilklub Gräfrath mit dem Kicken, ehe er bereits ab dem achten Lebensjahr bei Bayer 04 Leverkusen ausgebildet wurde. Trotz der fußballerischen Ausbildung bei der Werkself, blieb er seiner nahegelegen Heimat verbunden, machte sein Abitur in Solingen und absolvierte seinen Zivildienst beim örtlichen Sportbund. Der langgewachsene Mittelfeldspieler wechselte 2016 nach einigen Leihen endgültig von Bayer 04 nach Mönchengladbach und ist heute eine feste Größe im Mittelfeld der Fohlen. Nicht erst seit seiner legendären Gehirnerschütterung im WM-Finale gegen Argentinien, die ihn den Schiedsrichter mehrmals fragen ließ, ob dies hier das WM-Finale sei, genießt er vereinsübergreifende Sympathien. Auch ich kann Kramer bei aller Rivalität nichts Negatives abgewinnen. Seit einigen Monaten nutzt er seine Beliebtheit und schreibt eine Kolumne für die 11 Freunde.

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